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Schön sein Käte Meyer-Drawe Der schöne Körper Gefangener oder Gefängnis? Zurzeit leben wir im sogenannten Jahrzehnt des Gehirns. Gleichzeitig wird dem menschlichen Körper eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit gewidmet. In zahllosen Artikeln in der Presse wie im Internet, in einer Fülle kulturgeschichtlicher Abhandlungen, auf zahlreichen Tagungen und auch in Forschungswettbewerben ist unser Körper präsent, so bei der Ausschreibung des dritten deutschen Studienpreises mit der Preisfrage »Wie viel Körper braucht der Mensch?«. Das Feld ist bunt und beinahe nicht mehr zu übersehen. Neben Fragen medizinischer oder erkenntnistheoretischer Art handelt es sich auch um ästhetische Themen, die den Körper als Gestaltungsobjekt auffassen. Ästhetik wird dabei nicht nur auf den Körper in künstlerischen Darstellungen bezogen, sondern auch auf die Kunst am Körper, auf Körpermodifikationen und -optimierungen. Unser Körper ist längst schon keine Sache des Schicksals mehr. Im strengen Sinn war er dies vielleicht niemals. Aber die zahlreichen medizinischen und technologischen Entwicklungen unserer Zeit ermöglichen neben »Korrekturen« und »Reparaturen« auch, den eigenen Körper nach beliebigen Bildern umzugestalten. Zu fragen bleibt jedoch, ob die erhöhte Aufmerksamkeit dem Körper gegenüber nicht seine Aufwertung, sondern seine Um-, ja sogar seine weitere Abwertung bedeutet. Ist nicht eine Signatur der Geschichte unseres Körpers darin zu finden, dass sich eine gewisse Umkehr vollzogen hat, nämlich die vom Leib als Kerker der Seele, wie zum Beispiel Platon dachte, hin zum Bewusstsein als Gefängnis unseres Leibes, wie Nietzsche und in seinen Spuren vor allem Foucault deutlich machten? Im März 2000 starb Lolo Ferrari. Als ihr Leben endete, hatte sie das Aussehen einer überzeichneten Barbie-Puppe. Über 20 Operationen hatten ihre Brüste zu Ballons transformiert, die ihr das selbstständige Gehen schwer machten. Bei Bühnenauftritten benötigte sie unauffällige Kompagnons, die sie stützten. Wenn dies nicht gelang, kam der gierige, indiskrete Kamerablick ebenso auf seine Kosten wie in dem Fall, dass alles funktionierte. Die silikongepolsterten Lippen hatten ihr Lächeln verloren und ließen ein müheloses Sprechen nicht mehr zu. Alkohol und Drogen stützten ihr Leben, das sie selbst als unvollkommen künstlich betrachtete. Es sei dahingestellt, ob die Stilisierung ihres Leibes zum Kunstprodukt und zum bloßen Symbol von Sexualität eine selbst gewollte Antwort auf eine verunglückte Kindheit war, ob dies alles nur um des Blickes des Profit bringenden Voyeurs willen geschah oder ob sie von ihrem Management missbraucht wurde. Auch geht es im Folgenden nicht um eine moralische Geste oder eine Ermahnung zum Natürlichen. Es geht vielmehr um die Frage, welche Vorstellung von unserer leiblichen Existenz wirksam ist, wenn der menschliche Körper nach der Maßgabe einer Puppe gestaltet wird, deren Design dem menschlichen Bewusstsein entstammt. In dieser Perspektive macht der Fall Lolo Ferrari auf Veränderungen aufmerksam, die sich auch im Unspektakulären auffinden lassen und dort schon längst so vertraut sind, dass es extremer Ereignisse bedarf, um danach fragen zu können. Zumindest zwei Tendenzen sind in der Geschichte unserer Leiblichkeit stets festzustellen gewesen. Zum einen fungiert unser Leib als Gedächtnis, worin die verschiedenen Gesellschaften ihre Vorstellungen ein- und fortschreiben. »Dem Leib prägen sich die Ereignisse ein (während die Sprache sie notiert und Ideen sie auflösen). Am Leib löst sich das Ich auf (das sich eine substantielle Einheit vorgaukeln möchte). Er ist eine Masse, die ständig abbröckelt.« (Foucault 1993, S. 75) Es gab immer wieder Bilder vom tüchtigen, schönen und gesunden Leib. Der soldatische Körper verwies auf den Schutz der Gesellschaften, der gesunde auf ihren Fortbestand. Auf der anderen Seite erinnerte der Leib ständig an die Hinfälligkeit des Menschen und erweckte die Sehnsucht nach dem Unvergänglichen. Es wurde schon früh die Frage aufg